Fazit

Eine diversitätsbasierte und partizipationsorientierte Leseförderung für alle in Österreich lebenden Menschen muss unabhängig von individuellen und sozialen Unterschieden neben dem individuellen Vorteil für den Einzelnen vor allem auch den Wert des Lesens für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Möglichkeiten der Teilhabe für alle Menschen unserer Gesellschaft sichtbar machen. Dazu sind Maßnahmen auf mindestens drei Ebenen notwendig: (1) Maßnahmen auf der Ebene politischer und institutioneller Akteure, (2) Maßnahmen auf individueller Ebene und (3) Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit zur Veränderung von Diskursen an der Schnittstelle zwischen Individuen und Institutionen.
 
Diskurse zum Thema Lesen sind stark differenz-und defizitorientiert. „Defizite“ im Lesen werden im Diskurs immer wieder auf einige wenige Faktoren als Ursachen zurückgeführt. Hier muss eine diversitätsbasierte Leseförderung ansetzen. Individuelle Schwierigkeiten in der Entwicklung von Lesefertigkeiten und der Zugang und Gebrauch von Leseressourcen sind in der Regel durch mehrere Faktoren zugleich bedingt. Direkte oder gar monokausale Ursache-Wirkungs-Verhältnisse dürfen nicht angenommen werden. Die Wahrnehmung der vielen verschiedenen Dimensionen von Diversität und der Erweiterung des Lesebegriffs durch Mehrsprachigkeit und den Gebrauch digitaler Medien ist in pädagogischen Aus-und Fortbildungen wie auch in einer lesefördernden Öffentlichkeitsarbeit zu stärken. 

Die Notwendigkeit von Leseförderung darf nicht einfach damit begründet werden, Menschen durch Lesen zu einem produktiveren, effizienzorientierteren, erfolgreichen Teil der Gesellschaft zu machen. Der Einsatz von Lesekompetenzen bietet natürlich Möglichkeiten zur Verbesserung der eigenen beruflichen und ökonomischen Lebenslage. Darüber hinaus muss Leseförderung aber den persönlichen „Mehrwert“ von Lesen sowie Lesefreude und Motivation vermitteln können. Der persönliche „Mehrwert“ auf individueller Ebene muss v.a. subjektiv fühlbar und nicht nur in statistischen Größen beschreibbar sein. Dieser „Mehrwert“ bezieht sich auch auf die Erweiterung der persönlichen Möglichkeiten zu Selbstbestimmung und freier Lebensgestaltung, auf Freizeitaktivitäten, soziale Vernetzung, Entwicklung von Freundschaften und Bekanntschaften und Vermeidung von Einsamkeit. Das gilt besonders für ältere Menschen oder für Menschen, die von Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Behinderungen betroffen sind.

Eine diversitätsbasierte und partizipationsorientierte Leseförderung muss eben diese individuellen, emotionalen und sozialen Komponenten zum Ausgangspunkt nehmen, um alle in Österreich lebenden Menschen erreichen zu können. Nur durch Wahrnehmung der vielen Dimensionen von Diversität und der individuellen Ressourcen, Möglichkeiten und Ziele ist das Recht jeder bzw. jedes Einzelnen auf Partizipation und aktive Teilhabe am sozialen Leben zu verwirklichen.
 

 

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